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Wege aus der Krise: wie dichtende Denker Gesellschaft gestalten

Raus aus der Kinderstube

Die Zeiten haben sich geändert, und dies gilt es in aller Radikalität zu erkennen. Mit dem Ende der Monarchie, als zumindest hierzulande die Landesväter und -mütter die Bühne verließen, hätte die Gesellschaft völlig umgestaltet werden müssen – und zwar von Fremd- auf Eigenlenkung. Auf dem Reichstag steht zwar, alle Macht ginge nun vom Volke aus,

…doch es fehlt der Hinweis, dass dies keine Tatsache, sondern eine Vision ist, die schon seit Goethes Zeiten auf Realisierung wartet.

Kaiser und Könige gingen, weil das Volk revoltierte. Man wollte frei sein, erhielt aber leider nicht die entsprechende Bildung und Unterweisung im Handwerk des Königs. Ja, so etwas gibt es, wie auch Schulen für Manager. Dieses Handwerk wird in meinem nächsten Buch „Das Erwachen der Lämmer“ ausführlich beschrieben. Hier können nur kleine Teile einfließen.

Der Einzelne wird bis heute nicht darüber unterrichtet, was mit der Abdankung des Kaisers wirklich geschehen ist: die hoheitliche Macht wurde nämlich an uns alle übergeben – und nicht an die Politiker! Wir haben uns ermächtigt und leihen die Macht nur zeitweise aus. Wir delegieren sie, geben sie aber nicht ab – zumindest sollte es so sein. Du bist jetzt „Seine Hoheit“, liebe Leserin und Leser, auch ohne offiziellen Titel. Und was ist ein Beweis für diese neue, innere Stellung zu den Dingen? Das von vielen geteilte Gefühl, im Kasperletheater zu sein – z.B. beim Verfolgen einer Bundestagsdebatte mit all dem kindischen Gezanke und Geplärre, Beleidigtheiten und Pöbeleien.

Bei allem Respekt, aber so verhalten sich souveräne, im besten Sinne erwachsene Menschen doch nicht, sondern nur Kindsköpfe, oder?

Vom Anspruch her sind wir alle jetzt der König und Souverän, jeder Einzelne von uns – und damit ist die alte Form des Staates passé! Finito, aus die Maus und Ende Gelände, verstehst Du? Mit allem Nachdruck möchte ich diese Aussage unterstreichen, weil aus ihr etwas Unerhörtes zwingend folgt: wir können alle gängigen Staats- und Gesellschaftstheorien getrost zum Altpapier bringen. Das Politkabarett gleich mit dazu. Die aktuelle Gesellschaftsform ist nicht verbesserbar, weil sie mündige Mitbestimmung weder zulässt noch wirklich mit ihr rechnet. Deshalb muss sie überwunden werden.

Wer tatsächlich noch glaubt, das Volk würde (mit-) regieren, muss sich nur einmal den Verlauf der letzten Jahrzehnte ansehen: ein kontinuierlicher Niedergang gegen den Willen einer Mehrheit und auf deren Kosten. Nicht nur die Natur ist am Ende ihrer Kraft, auch die Menschen. Spätestens 1918 ist eine völlig neue Zeit angebrochen, die aber ohne entsprechende Bildung dieser Mehrheit im Chaos enden muss. Wir sind jetzt vom Anspruch her souverän und deshalb aufgefordert, ein dazu passendes, neues Zusammenleben zu begründen. Ende der Standortbestimmung.


Kurze Besinnung

Vielleicht ist auch hier eine Lesepause angebracht, damit der Schock empfunden werden kann. Und zwar darüber, wie unangemessen das aktuelle gesellschaftliche Treiben ist, wie sinnlos und erwachsener Menschen unwürdig. Nach meinem Dafürhalten muss sich das Gefühl der Enttäuschung über die da oben erst zur Wahrnehmung der Selbsttäuschung steigern. Wie konnte man jemals glauben, dieses „System“ sei gut, gerecht, sinnvoll gestaltet und gar alternativlos?

Erst wenn die Illusion zerplatzt ist, wozu Corona beitragen könnte, ist Raum für neue Gedanken.

Nur der Durst nach Menschlichkeit und neuem Sinn wird uns die Kraft zum Abstreifen der alten Sichtweisen geben. Denn wie schon gesagt ist nichts weniger nötig, als sich innerlich zu wenden und auf den Kopf zu stellen, was man bisher für normal und richtig hielt. Der Führer bei diesem Kunststück ist unsere aus dem Herzen aufsteigende Ahnung der Schönen Neuen Welt, die bei den entsprechenden Schlagworten immer wieder auffflammt. Hier ein Auszug aus der im Beitrag über 5G formulierten Vision:

Durch entsprechende Förderung in der Kindheit bewahren wir das Interesse für die Welt, und weil wir das Wunder in Kleinem wie im Großem ahnen lernen, treiben wir entsprechend Wissenschaft. Ganz natürlich interessieren wir uns mehr füreinander als für diffuse Begierden und Sehnsüchte im eigenen Inneren. Mit freudvollem Interesse dürfen wir wahrnehmen, wie die ausgebildeten eigenen Fähigkeiten z.B. im Produktionsprozess zur Erschaffung von Produkten beitragen und wessen Bedürfnisse sie stillen.

Wir reisen viel, um in andere Kulturen einzutauchen und um z.B. den Kaffeebauern in Guatemala persönlich für ihre Arbeit zu danken. Weil wir gelernt haben, in Wert-Schätzung der jeweiligen Einzigartigkeiten füreinander zu arbeiten, und… [weiterlesen]


Bist Du bereit für den nächsten Schritt, liebe Leserin und Leser? Gut. Dann ist „nur“ noch zu klären, wie wir dieses neue, dreigegliederte Zusammenleben begründen. Dr. Rudolf Steiner beantwortet diese Frage in der kürzest möglichen Weise so:

„…daß man nicht anders ein den Tatsachen gewachsenes Urteil gewinnen kann als durch Zurückgehen zu den Urgedanken, die allen sozialen Einrichtungen zugrunde liegen.“
(Die Kernpunkte der Sozialen Frage, Ausgabe 1919, S. 64)

Seelen entwickeln sich

Rudolf Steiner hat sich allein schon durch seine Vorhersage des 1. Weltkrieges als Klargeist bewiesen, zu einem Zeitpunkt, als ihn die meisten für unmöglich hielten. Dieser klare Geist behauptet nun, dass sich alle Vorschriften, Ämter und Institutionen letztlich aus einem Denken entwickelt haben, das wir heute nicht mehr verstehen. Deshalb das „zurückgehen“.

Damit nicht genug geht er außerdem in Widerspruch zur „anerkannten“ Geschichtsforschung, die meint, frühere Gesellschaften hätten sich willkürlich entwickelt, und zwar aus körperlichen Bedürfnissen einerseits (Zusammenhalt für Nahrung & Schutz), und gierigem Machtstreben andererseits. Für viele sind die alten Herrschaften ja bloße Unterdrückungssysteme, die von cleveren Alphatieren installiert wurden. Doch dem ist nicht so!

In obiger Doku wird die recht junge Entdeckung gezeigt, dass die mittelalterlichen Städte sorgfältig konzipiert wurden, und zwar nach dem Vorbild der heiligen Geometrie. Man höre und staune! Ihnen lag eine wissende Vision zugrunde, die sogar die zukünftige Entwicklung berücksichtigte.

Brutale Unterdrücker tun so etwas nicht, sondern nur um das Wohl ihrer Schäflein besorgte, weise Hirten.

Solche Erkenntnis rüttelt grundlegend am Bild vom finsteren Mittelalter (siehe mein Beitrag über das alte Internet), und dass sich das Königtum generell aus dem Streben machtgieriger Halunken entwickelt haben soll. Im Gegenteil entsprang es höchster Weisheit, die erst ab ca. 1400 zunehmend korumpiert wurde. Den Beweis dafür finden wir in uns selbst, in der wohl allen Menschen gemeinsamen Sehnsucht nach dem gütigen, gerechten König, dessen Bild in „Der Herr der Ringe“ oder „Das Königreich der Himmel“ wunderbar gezeichnet wird.

Dieses Urvertrauen, das wir den heutigen Machthabern (und Stars) zu Unrecht schenken, stammt aus uralten Tagen. Damals, als Vertrauen in die gekrönten Häupter noch gerechtfertigt war.

Am Anfang war Vollkommenheit

Noch einmal sei betont, dass wir hier von einem spirituellen Weltbild ausgehen, und da gibt es Eingeweihte, also Menschen mit Zugang zu höheren Erkenntnissen – und natürlich Götter, die wir Engel nennen, Erzengel etc. Fassen wir es ganz praktisch:

Wenn wir selbst durch Eltern in die Welt kommen, deren Anleitung wir bedürfen, warum sollte es im Großen dann nicht auch so sein? Wie hier beschrieben, wurde die Menschheit geschaffen, und zwar als Idee im Geiste unserer Elternwesen. Langsam nahm sie Gestalt an, und entwickelte sich von einem kindlichen Traumbewusstsein im Kollektiv zur heutigen Wachheit des Individuums. Diese lange Entwicklung vollziehen Heranwachsende heute im Schnelldurchlauf nach – vom träumerischen Kinderbewusstsein zum „Erwachen für die Welt“ mit der Pubertät.

Hochkulturen, die z.B. Angkor Wat mit seinem unglaublichen Bewässerungssystem hervorbrachten, auf einer Fläche mindestens so groß wie Berlin, waren gewiss nicht das Werk ungebildeter Sklaven. Es waren nach höchstem Standard eingerichtete Lebenswelten, die dem Lernen dienten – Klassenzimmer, wenn man so will. Die Anführer wussten genau, was sie taten, und hatten über Jahrtausende alle ein Ziel: die geistig-moralische Weiterentwicklung der ihnen Anvertrauten.

Weisheit stand am Anfang, und sie ist nicht das Ergebnis einer langsamen Entwicklung von Dumm zu Schlau.

Das ist eine der Aussagen (s.o.), für deren Beweis hier kein Raum ist. Sie bringt etwas in einem zum Klingen oder eben nicht. Aber alleine schon Bauleistung und -wissen sind ein Schlag ins Gesicht der heutigen Geschichtsauffassung, wie bereits bei den Pyramiden thematisiert wurde. Unsere Kultur ist keineswegs die Krönung einer Höherentwicklung, sondern stellt in vieler Hinsicht vielmehr einen Tiefpunkt dar, wie die vorher-nachher-Bilder aus diesem Beitrag bezeugen.

Was wir allen Vorfahren aber voraus haben, das sind Wille und Befähigung, uns jetzt mit wachem Bewusstsein auf eigene Beine zu stellen. Das ist die große Errungenschaft unserer Zeit. Wir wollen jetzt selbst verstehen, wie man als König souverän denkt und handelt, und was läge da näher, als bei diesen Rat zu suchen?

Urgedanken

Also, was waren deren Urgedanken? Wir finden sie hier dargestellt.

Quelle

Wir haben gelernt, Krone, Szepter und Reichsapfel seien einfach willkürlich gewählte Symbole, so eine Art Königslogo. Doch ist es Zufall, dass der Stab oder das zerteilend-richtende Schwert für das männliche Prinzip steht? Und ist die Kugel nicht treffendes Symbol für das Gegenteil, nämlich die umhüllende, integrierend-zusammenfassende Kraft des Weiblichen? Könnten es die gleichen polaren Kräfte sein, die man im Osten als Yin und Yang kennt?

Wusstest Du, dass man das Yin-Yang-Zeichen eigentlich dreidimensional und in Bewegung denken muss?

Deshalb ist die dritte Kraft im Zentrum nicht zu sehen, die zwischen Wasser und Feuer vermittelt. Dafür steht die Krone, als Sinnbild der erleuchteten, beide Seiten verstehenden und liebenden Weisheit. Ich weiß, wie esoterisch das klingt. Knallharte Staatenlenker sollen über männlich-weiblich nachgedacht haben? Nun, ganz normal im heutigen Sinne waren sie offenbar nicht, denn zu ihren Zeiten begriff man den Menschen doch tatsächlich als Teil eines beseelten, geisterfüllten Kosmos!

Warum ich meinem Verdacht bzgl. Szepter und Reichsapfel aber hartnäckig weiter nachging, liegt an den massiven Problemen, die uns dieses männlich-weiblich heute bereitet (Stichwort Homosexualität und Genderisierung). Warum erhitzen diese angeblich ausgedachten „Konzepte“ so sehr die Gemüter? Oder ist an männlich-weiblich doch mehr dran? Sind damit eigentlich Weltenkräfte gemeint, deren Ignoranz und damit falsche Handhabung zu (sozialen) Katastrophen führt? Wissen deshalb viele nicht mehr, ob „sie Männlein oder Weiblein sind“, was ein alter Ausdruck für Verwirrtheit ist?

Vorschau
1. Der männliche Stab steht für das Prinzip des Einzelnen, der als Individualität zur Blüte kommt. Machtvoll-aggressive Abgrenzung ist nötig, um im Denken und Erkennen auf den Punkt zu kommen.
2. Die Kugel steht für das Aufgehen in der weiblichen Gemeinschaft, wo unzählige Möglichkeiten im Chaos durcheinandergehen. Loslassende Auf- und Hingabe des Gewordenen ist nötig, damit im fruchtbaren Schoß des Lebens Altes neu werden kann. Das einmal Errungene will sich wieder auflösen, um sich als Same mit anderen Samen zu kreuzen. So entsteht durch Opfer Fortschritt und Weiterentwicklung zu neuer Blüte.

Kurz: der männliche Pol befruchtet den weiblichen, der durch Umwandlungen den Nährboden für neue Blüten auf höherer Stufe bereitstellt. Er vereinzelt, sie vergemeinschaftet, er trennt, sie umhüllt. Durch rechtes Zusammenspiel beider Pole entsteht das Milieu für die Vervollkommnung der Wesen – aber auch für klares Denken und fürsorgliche Gemeinschaft.

Rudolf Steiners Auffassung zur Bedeutung von Polarität:

Unzählige Erscheinungen des Lebens werden uns klar werden, wenn wir die menschliche Wesenheit aus zwei Polen zusammenwirkend denken […].
(GA 56)

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Thomas Christian Liebl
 

Bewegungslehrer, Autor, Visionär. Mehr Infos hier.

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Jürgen Elsen - 3. Mai 2020

„..Man kann nicht gleich an Institutionen gehen, man kann nicht gleich neue Einrichtungen pflegen, sondern es handelt sich darum, dass möglichst viele Menschen sich finden, in deren Erkenntnisfähigkeiten diese Dinge drinnensitzen, dann wird man mit diesen Menschen Institutionen bilden können.” (GA 196)

R.S. spricht darüber 1920 – also vor 100 Jahren.
Sind heute irgendwo diese – letztenendes organisational wirkende Institutionen im Sinne des von Steiner gemeinten Kontextes von Menschen gebildet worden ?

Ich kann keine sehen. Das einzige, was mir dazu einfällt ist mal wieder das KRD und schade, daß hier geschaffene – natürlich noch in den Anfang steckende Institutionen, die den Menschen im Sinne des obigen Artikels im Mittelpunkt haben – gerade von denen, die schon 100 Jahre über so etwas debattieren nicht mit weiterentwickelt werden …

Woran liegt das? Was stimmt denn nicht? Was braucht es denn noch?

Reply
    Thomas Christian Liebl - 3. Mai 2020

    Danke für Antwort, Jürgen!

    Nein, die Institutionen sind nicht gebildet worden, oder besser der Staat nicht dreigegliedert. Der Grund dafür liegt m.E. im Zitat. Es haben sich eben zu wenig Menschen gefunden, die „diese Dinge“ verinnerlicht haben. Wer das tut, muss staatliche Bevormundung in Bildungs- oder Gesundheitsfragen (!) vehement ablehnen. Aber genau das erlebe ich bei sehr wenigen. Da haben Dichter noch Emanzipations vor sich, wie ich schrieb, und Denker Befreiungsarbeit.

    herzlich
    Thomas C.

    Reply
Jürgen Elsen - 13. Mai 2020

Danke, Thomas – natürlich auch wieder für Deine anregenden Texte, Deine Zeit und Aufwand …. !

Wie Du schon sagst: es haben sich zu wenige Menschen gefunden, die … VERINNERLICHT haben…

Bei mir bedeutet Verinnerlichung eben auch das Einschließen von Willensenergie (= Tat).

Der „Moll-Schritt“ der Verinnerlichung ist nur die eine Seite, darauf folgt der „Dur-Schritt“ der Tat.

Und deshalb reicht es auch nicht „irgendetwas“ – ja meist wohl gedanklich und verbal – abzulehnen (wie Du schreibst), sondern es müssen DAZU dann auch Schritte manifestiert werden.

Sonst kommt es eben nicht zu den Einrichtungen („Dur-Manifestationen“), selbst, wenn Menschen da sind, die schon schön „mollig“ sind und das überall hintönen 😉

Wir können uns ja jetzt alle „corona-bewähren“. Ich setze nirgendswo eine Maske auf, sondern ein freundliches Lächeln.

Falls ich des Hauses (Geschäft) verwiesen werden, komme ich dem natürlich nach, aber nicht ohne entsprechende „Belehrung“, nach dem Motto: Sie müssen das nicht tun !!! 😉

herzliche Grüße und weiterhin viel Energie und Wohlwollen

Jürgen

Reply
Ursula - 27. Mai 2020

Ich möchte mitteilen, dass ich sehr zu einer Gemeinschaft im obigen Sinne zählen würde, aber doch lieber den Rückzug in mein kleines Reich antrete, da ich die allerwenigsten Menschen zu ertragen weiß.
Also gelingt es mir nicht, in einem heilenden Sinne zu wirken. Da ist zu viel kaputt.
Wozu kann ich denn noch dienen, wenn nicht zum Aufbau einer weiterführenden Gemeinschaft?

Reply
Martin MS - 3. Juni 2020

Auch wenn ich nicht alles 1 zu 1 teile, das Gefühl geistiger Verwandtschaft ist sehr deutlich, von daher: *meld*.
Herzlichen Gruß,
Martin aus Marburg

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